Was Taxifahren mit Geldanlage zu tun hat

Angesichts der Volatilität und zunehmenden Anomalien auf den Finanz- und Kapitalmärkten wächst die Bedeutung von Behavioral Finance, der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie. Diese beschäftigt sich mit der Psychologie der Kapitalanleger und versucht zu zeigen, wie Anlageentscheidungen zustande kommen bzw. zeigt irrationales Verhalten dabei auf. Solche Verhaltensmuster waren über Jahrtausende für das Überleben der menschlichen Spezies vorteilhaft und sind noch immer entsprechend tief verankert. An den Finanzmärkten führen diese Verhaltensmuster heute jedoch zu Fehlleistungen und Anlegerinnen und Anleger erleiden finanzielle Verluste bzw. gehen unnötige Risiken ein – so beispielsweise die Risikovermeidung oder aber dessen Pendant die Selbstüberschätzung.

Stephan Bohle, Leiter Private Banking bei der Hypo Vorarlberg in Bregenz, spricht mit dem Kölner Kapitalmarktstrategen Thomas Lehr über dessen Erkenntnisse im Zuge seiner langjährigen Berufserfahrung in der Vermögensverwaltung. Dabei bieten sich anhand konkreter Beispiele Möglichkeiten das eigene Anlageverhalten einzuordnen und entsprechendes Fehlverhalten zu vermeiden. Thomas Lehr war auch diesen März Keynote Speaker beim alljährlichen Private Banking Forum der Hypo Vorarlberg.

Stephan Bohle: Wie lässt sich das Anlageverhalten grundsätzlich einordnen?

Thomas Lehr: Ich veranschauliche das gerne mit folgendem Beispiel aus dem Alltag. Wer von uns saß schon einmal in einem Taxi und hat sich über die Fahrerin oder den Fahrer geärgert? Entweder fuhr die Person zu langsam oder zu schnell, überholte zu oft oder gar nicht oder es war der Weg zum Ziel aus unserer Sicht zu langsam. Man selbst wäre ganz anders gefahren. Je größer die Überzeugung in die eigenen Fähigkeiten, desto größer der Ärger, für eine vermeintlich schlechte Dienstleistung Geld zahlen zu müssen.

Ganz anders meine Mutter. Sie fährt oft mit dem Taxi. Vor allem, wenn sie die Strecke nicht kennt oder nicht weiß, ob sie einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe findet. Sie nimmt gerne ein Taxi, wenn sie sich unsicher fühlt. Nie geht es ihr darum, besonders schnell zu sein. Im Gegenteil – sie fühlt sich sicherer, wenn der Wagen nicht hektisch die Spur wechselt, sondern die Fahrt komfortabel ist. Sie zahlt neben dem Fahrpreis dann gerne auch ein Trinkgeld.

Stephan Bohle: Welche Schlussfolgerungen können für die Geldanlage daraus gezogen werden?

Thomas Lehr: Das zeigt, dass Menschen einfach unterschiedlich ticken. Es ist daher sinnlos, die Frage „Selbst fahren oder ein Taxi nehmen?“ allgemein gültig beantworten zu wollen. Das gilt für beinahe jede Dienstleistung. So mag es sein, dass es günstiger ist, das Wohnzimmer selbst zu streichen. Aber ich kann und ich will es womöglich nicht. Es mag auch sein, dass es günstiger ist einen Autoreifen selbst zu wechseln. Ich möchte das aber nicht selbst machen, weil mir die Zeit und die Lust dazu fehlt. Ähnlich ist es bei der Geldanlage.

Stephan Bohle: Hier stellt sich dann die Frage nach einer professionellen Vermögensverwaltung.

Thomas Lehr: Genau! Der passiven Kundin bzw. dem passiven Kunden ist es in der Regel bewusst, dass er die Dinge selbst nicht in die Hand nehmen kann oder will. Daher ist er grundsätzlich auch bereit, für ein aktives Vermögensmanagement zu zahlen. Oft ist diese erste aktive Entscheidung aber mit Hürden verbunden und wird im schlechtesten Fall
gar nicht erst getroffen, weswegen das Geld häufig genug auch gar nicht angelegt wird.

Eine Scheu gegenüber Risiken kann erklären warum viele Anlegerinnen und Anleger ihre Ersparnisse als (schlecht verzinste) Sichteinlagen halten. Sie empfinden den nominalen Erhalt der Ersparnisse als angenehmer, als das Risiko von Wertschwankungen einzugehen und nehmen dafür selbst den Verlust der Kaufkraft ihrer Ersparnisse in Kauf. Wer jedoch bei der Wertentwicklung eines gut diversifizierten Depots vor allem den Gesamtbetrag im Auge hat und zudem nicht auf der „Jahresscheibe“ sein Urteil fällt, sondern seinem langfristigen Anlagehorizont in entsprechend langen Zyklen, hat gute Chancen überdurchschnittliche Renditen einzufahren. Eine konsequente Multi Asset-Strategie ist die beste Voraussetzung, um in jeder Marktsituation positive absolute Renditen erzielen zu können und gleichzeitigVermögen zu schützen. Diversifikation bleibt zentral.

Stephan Bohle:Wie sehen Sie im Gegensatz dazu die Selbstüberschätzung?

Thomas Lehr: Viele aktive Anlegerinnen und Anleger betrachten ihre Geldanlage als Hobby, nicht wenige sogar als Wettrennen. In vielen Fällen geht es also nicht darum, ein Ziel sicher zu erreichen. Man möchte vor allem schnell sein. Und im besten Fall noch schneller als der Rest.

Häufiger Spurwechsel, abruptes Abbremsen und wieder Gas geben gehören dazu wie der ständige Blick auf Tacho und Stoppuhr: die Wertentwicklung steht im Mittelpunkt wie die PS beim Auto. Dabei mag das Urteil über die Wertentwicklung anderer oft äußerst kritisch ausfallen, während man milde und nachsichtig gegenüber der eigenen Performance bleibt. Weder sehnt sich der Taxifahrer nach so einem Fahrgast, noch wird der Fahrgast Freude an der Taxifahrt haben. Es passt einfach nicht.

Wem es also wichtiger ist, ohne Stress und waghalsige Manöver sicher sein Ziel zu erreichen, für den kann die Frage, wie schnell das Ziel erreicht wurde, nicht das entscheidende Kriterium sein.

Stephan Bohle: Oft genug bringen sich Anlegerinnen und Anleger um ihren langfristigen Erfolg, weil sie auf dem Weg dorthin zu Unzeiten aussteigen. Was ist Ihr Ratschlag, um dies möglichst zu vermeiden?

Thomas Lehr: Die letzten Jahre waren voll von solchen Momenten. Ich meine damit nicht einmal die scharfen Korrekturen. Beinahe noch öfter ist es die Verlockung, Gewinne mitzunehmen oder drohenden Gefahren auszuweichen. Hier und da mag das Manöver gelingen, aber oft genug lautet die für den langfristigen Anlageerfolg alles entscheidende Frage „Wie schaffe ich es dabeizubleiben?“.

Egal ob Festgeld, ein gut gemanagter Fonds oder ein Portfolio aus selbstausgewählten Aktien und ETFs – die weit überwiegende Zahl der Anlegerinnen und Anleger strebt keine mathematisch optimale Strategie an. Viel erfolgsversprechender ist eine Strategie, die einen nachts ruhig schlafen lässt. Genau das erhöht die Chance, langfristig dabeizubleiben und genau darauf kommt es bei der Geldanlage an.

Stephan Bohle: Vielen Dank für das spannende Gespräch und den interessanten Input für unsere Leserschaft!

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